Dienstag, 24. August 2010

Schlingensiefs Krebstod

Von Krankheit und Therapie
gezeichnet: Schlingensief
Wien 2009. Foto: Wikipedia

Der Regisseur, Filmemacher und Provokateur Christoph Schlingensief ist tot. Er erlag seinem Krebsleiden am vergangenen Wochenende. Ich lernte ihn irgendwann Ende der 80er Jahre kennen. In Bielefeld präsentierte er ein paar Filminteressierten seine neuesten Werke - "100 Jahre Adolf Hitler - Die letzte Stunde im Führerbunker", und eine der ersten Schnittfassungen von "Das deutsche Kettensägenmassaker" hatte er auch mitgebracht. Er war ein sympathischer Typ, in diesem verrauchten Studentenkino in Bielefeld, aber ich fand die Filme langweilig und wir diskutierten ein wenig darüber, und wir alle verließen Bielefeld irgendwann, und er wurde immer präsenter in der deutschen Kulturöffentlichkeit. Und dann schrieben die Zeitungen, er kämpfe gegen den Krebs. Und dann schrieben sie, "der verdammte Krebs" habe ihn nun besiegt.


Wann immer jemand in derselben Situation ist, wird dasselbe über diesen gesagt: Erst die Diagnose, niederschmetternd, dann wird gekämpft, und dann gewinnt man, oder man verliert. Und wenn man verliert, hat man gegen den verdammten Krebs verloren. 

Ohne eine Aussage über Schlingensief machen zu wollen (bei dem den Medien hervorhebenswert fanden, dass er Nichtraucher gewesen sei, als ob Passivrauchen nicht ebenso lungenkrebsfördernd sei), so ist festzustellen, dass im Sprechen über den Krebskampf über eines hinweggetäuscht wird: In der Regel stimmt es nicht, dass der Patient kämpft. Richtig wäre es zu sagen, er lässt kämpfen. Die Ärzte, die Chemo, die Bestrahlung. die Apparate. Der Patient ist oft passiv: Er lässt die Chemo zu, er lässt sich bestrahlen, er lässt sich röntgen. 

Bei Christoph Schlingensief hatte ich den Eindruck, dass sein Kampf vor allem darin bestand, den eigenen, auf die beruflichen Projekte ausgerichteten Tatendrang aufrecht zu erhalten. Er hat sich kein Jahr Auszeit genommen, zum Beispiel. Das geht vielen so. Auf der einen Seite lassen sie behandeln, kommen von der Chemo und nehmen alle Energie, die sie noch in sich haben, um das zu tun, was sie immer taten. Arbeiten, Marathon laufen, was auch immer. Und sei es, um nicht an das da, den verdammten Krebs, denken zu müssen. Um sich auf andere Gedanken zu bringen. Sie haben den festen Willen, den Krebs zu besiegen. 

Der Wille jedoch, das wissen wir, ist ein Bestandteil unseres Bewusstseins. Die Kraft, die Zellen in ihrem Verhalten zu ändern, liegt jedoch weder im Bewusstsein noch in chemischen Substanzen, sie liegt im Unterbewusstsein.

Ein Anfang wäre, ein Buch zu lesen. Etwa von Lothar Hirneise: "Chemotherapie heilt Krebs und die Erde ist eine Scheibe." Keine Angst, das Buch ist nicht so, wie der Titel ist, sondern eher sachlich, fundiert, mit einigen der besten Strategien, die man entwickeln kann, um wirklich von sich sagen zu können: Ich lasse nicht kämpfen, ich kämpfe lieber selbst. 

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