Freitag, 12. Oktober 2007

Homöopathen im Notfalldienst

Die Patienten von fünf Ostschweizer Homöopathen müssen auch in Randzeiten nicht auf die Schulmedizin zurückgreifen
Degersheim. Gemeinsam mit vier Kolleginnen und Kollegen hat der Therapeut Martin Schwizer den ersten homöopathischen Notfalldienst der Ostschweiz ins Leben gerufen.

Martin Schwizer hat seine Praxis nüchtern eingerichtet. Keine medizinischen Geräte, keine Patientenliege – nur ein Tisch, drei Stühle und in der Ecke ein kleiner Schrank. Von der ansonsten nackten Wand lächelt Samuel Hahnemann in den Raum, der Begründer der Homöopathie (siehe Kasten). Zu dessen «sanfter Medizin» fühlte sich Martin Schwizer schon im Alter von 19 Jahren hingezogen, als er die Ausbildung zum Krankenpfleger startete. Es sollten jedoch zwölf weitere Jahre vergehen, bis der St. Galler der Schulmedizin endgültig den Rücken kehrte und sich an der SHI Homöopathie Schule in Zug immatrikulierte. Als schweizweit erste Institution wurde die vom berühmten Homöopathen Mohinder Singh Jus geleitete Schule kürzlich als Höhere Fachschule für Naturheilverfahren und Homöopathie anerkannt.
24-Stunden-Notfalldienst
«Arzneimittel aus der Schulmedizin stören die homöopathische Behandlung», sagt der seit drei Jahren in Degersheim praktizierende Schwizer. Analog zum Notfalldienst der Hausärzte gründeten er und vier Kolleginnen und Kollegen aus Rehetobel, Diepoldsau und Heiden für ihre Patienten deshalb einen homöopathischen Notfalldienst. Die homöopathischen Kügelchen – auch Globuli genannt – wirkten sehr wohl im akuten Bereich, sagt Martin Schwizer: «In Indien gibt es Spitäler, in denen nur homöopathisch behandelt wird – auch die heftigsten Krankheiten wie Cholera und Lungenentzündungen.»
Im Kanton St. Gallen ist den Homöopathen die Behandlung von Geschlechts- und entzündlichen Krankheiten – einer Hirnhautentzündung beispielsweise – verboten. Abgesehen davon kommt für eine Notfallbehandlung alles Mögliche in Frage: Ein Insektenstich, eine Augenverletzung, eine Sportverletzung, Husten oder auch ein Hexenschuss.
Hauptsächlich übers Telefon
Ein Grossteil der Notfälle wird von den fünf Homöopathen übers Telefon abgewickelt. «Die meisten unserer Patienten haben ein Globuli-Set mit 30 bis 40 Mitteln zu Hause», erklärt Schwizer. Wenn sich das Problem nicht bereits durch das beratende Gespräch lösen lasse, werde nach Möglichkeit ein Kügelchen aus der Hausapotheke verschrieben. Andernfalls holen die Patienten die Globuli beim Therapeuten ab.
Mit einer Praxis-Konsultation ist die Notfallbehandlung nicht zu vergleichen. Ungefähr zwei Stunden spricht Martin Schwizer mit einem neuen Patienten, denn nicht nur dessen Krankheitssymptome beeinflussen die Heilmittel-Wahl; «seine Charaktereigenschaften, seine Vergangenheit und mögliche Leiden der Blutsverwandten sind ebenso entscheidend», erklärt der Homöopath. Deshalb sei es möglich, dass fünf von der selben Krankheit betroffene Menschen fünf verschiedene Mittel erhielten.
Aufmerksame Patienten
Die homöopathische Methode, «Ähnliches mit Ähnlichem» zu behandeln, scheint im akuten Bereich nur auf den ersten Blick nicht anwendbar zu sein. Zwar gibt es keine Substanz, die eine Verrenkung heilen würde, wohl aber eine Substanz, die zum individuellen Beschwerden-Bild des Patienten passt.
Auch die Auslöser der Beschwerden und die Gemütslage des Patienten werden vom Homöopathen in die Heilmittel-Wahl einbezogen. «Telefonisch ist dies schwierig abzuklären», spricht Schwizer die Nachteile der Notfallbehandlung an. «Unsere Patienten sind auf solche Fragen aber vorbereitet und beobachten ihren Körper und ihre Psyche besser als Leute, die der Schulmedizin vertrauen.»
Die fünf am Notfalldienst beteiligten Therapeuten absolvierten alle die SHI Homöopathische Schule in Zug und vertreten laut Schwizer deshalb eine ähnliche Philosophie, «so dass sich die Patienten nicht umgewöhnen müssen». Im Gegensatz zu Therapeuten, die die Homöopathie mit anderen Heilmethoden kombinieren, arbeiten Schwizer und seine Kollegen ausschliesslich mit den etwa 3000 zur Verfügung stehenden homöopathischen Mitteln, «wobei gut 300 häufig angezeigt sind». Trotz seiner traditionellen Linie: Die Bevölkerung im ländlichen Degersheim stehe ihm ziemlich skeptisch gegenüber, sagt Schwizer. Viele Leute hätten vermutlich Mühe, mit ihm über Gefühle oder die Vergangenheit zu sprechen. Dass er drei Jahre nach der Eröffnung noch nicht von seiner Praxis leben kann, hängt für ihn aber auch mit der Gesundheitspolitik von Bundesrat Couchepin zusammen, «dem persönlichen Gegner der Komplementärmedizin».

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